Kindertagespflege - familiennah und gut betreut

Kindertagespflege: Ein besonderer Beziehungs- und Lernort

Die Vorzüge der Kindertagespflege - gerade für Kinder unter drei Jahren - liegen in der familienähnlichen, intensiven und individuellen Betreuung in einer kleinen, übersichtlichen Kindergruppe. Das entspricht den Vorstellungen vieler Eltern, die sich für ihre kleinen Kinder einerseits eine Betreuung in einer möglichst familienähnlichen Situation wünschen, und andererseits eine gute und umfassende Förderung der Bildungsentwicklung ihres Kindes erwarten. Bei aller Vielfalt der Familienformen in unserer Gesellschaft wird mit familienähnlicher Betreuung eine warmherzige Atmosphäre, weniger Lärm, die emotionale Bereitschaft und Feinfühligkeit der Betreuungsperson sowie eine leichte Orientierung für das Kind assoziiert. Die kleine Gruppengröße kann es den Kindern - insbesondere Einzelkindern - ermöglichen, untereinander geschwisterähnliche Beziehungen aufzubauen und dadurch von den sozialen Erfahrungen zu profitieren.

Der Alltag bietet Erfahrungs- und Lernchancen.

Das frühkindliche Lernen gelingt am besten durch beiläufige, informelle und in den Alltag integrierte Lernerfahrungen. Kindertagespflege bietet einen anregenden und sicheren Alltag im sozialen Kontext. Im strukturierten Tagesablauf mit der Tagespflegeperson und den anderen Kindern eignen sich Kinder “informell” Wissen an. Dieses Handlungswissen erlangen Kinder, indem sie im Alltag grundlegende Handlungszusammenhänge erleben und partizipieren, sich durch die vorgelebten Normen und Verhaltensweisen Orientierung verschaffen, Neues mit bereits Bekanntem verknüpfen und sich so ein immer differenzierteres Bild von der Welt machen. Für diese Selbstbildungsprozesse benötigen Kinder Zeit und Ruhe, Schutz und Sicherheit sowie Anregung und Unterstützung. Die familienähnliche Atmosphäre in der Kindertagespflege bietet dazu vielfältige Gelegenheiten und Chancen. Die Kinder erlernen und üben völlig selbstverständlich und quasi nebenbei alltägliche Handlungsabläufe, sie entdecken ihre Umwelt, sie gehen soziale Beziehungen ein und entwickeln ein Interaktionsverhalten.

Beziehungen fördern die kindliche Entdeckerlust.

Die intensive Betreuung unter Dreijähriger und die Beziehung zwischen der Tagespflegeperson und den Kindern bietet besonders gute Voraussetzungen für Bildung und Entwicklung. Kinder, die sich sicher aufgehoben, gebunden und vor allem individuell wahrgenommen und anerkannt fühlen, sind bereit, die Umwelt zu entdecken und selbst zu handeln. Eine ausgewogene Balance zwischen Bindung und Autonomie fördert die kindliche Neugier und Explorationslust. Die Tagespflege bietet hier den Vorteil, dass Kinder in der Regel konstant von derselben Bezugsperson betreut werden, die zu einem zentralen Bezugspunkt der Kinder wird.

Eltern und Tagespflegeperson übernehmen gemeinsame Verantwortung.

Neben den Kindern profitieren auch deren Eltern von der Kindertagespflege, die meist die einzige Betreuungsmöglichkeit ist, die sich flexibel an ihren Bedürfnissen und Wünschen ausrichten kann. Individuelle Betreuungswünsche können zwischen Eltern und Tagespflegeperson besprochen und die Rahmenbedingungen der Betreuung vereinbart werden. So kann in der Kindertagespflege individuell auf gewünschte pädagogische Konzepte, besondere Förderbedarfe oder spezielle Ernährung eingegangen werden. Nicht selten entwickelt sich zwischen Eltern und Tagespflegeperson ein besonders intensives Verhältnis und eine aktive Zusammenarbeit mit außergewöhnlichem Engagement.

“Kindertagespflege ist bindungsbezogen, anregend und kindorientiert”: Interview mit Univ.-Prof. DDr. Lieselotte Ahnert

Kindertagespflege unterstützt die frühkindliche Entwicklung in besonderer Weise. Dies zeigt auch ein aktuelles Forschungsprojekt, das in Österreich durchgeführt wurde.

Was haben Sie und Ihr Team in der Studie “Parenting and Co-Parenting” untersucht?

Frau Prof. Ahnert: Die Studie wurde mit Unterstützung der Jacobsfoundation in Niederösterreich durchgeführt. Mit kleinen Studententeams haben wir dort über die letzten zwei Jahre 300 Familien aufgesucht. 200 Familien hatten Kindertagespflege für die Betreuung ihrer Kinder in Anspruch genommen, während 100 Familien ihre Kinder nur zu Hause betreuten. Im Mittelpunkt standen dabei Vergleiche zwischen diesen unterschiedlich betreuten 12 bis 24 Monate alten Kleinkindern in Bezug auf ihre Denk und Sprachentwicklung, ihr Sozialverhalten und Wohlbefinden.

Was zeichnet die Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern unter drei Jahren in der Kindertagespflege aus?

Frau Prof. Ahnert: Wir waren überrascht, auf welch hohem Niveau Kindertagespflege in Niederösterreich angeboten und organisiert und in welcher Weise Betreuungsqualität umgesetzt und überprüft wird. Wir haben vielfach beobachten können, wie engagierte Tagesmütter und Tagesväter ihre privaten Wohnumwelten professionell ausgestalten, oft mit dem eigenen Spielplatz im Vorgarten. Bildung, Betreuung und Erziehung war dementsprechend bindungsbezogen, anregend und kindorientiert, so wie dies auch von den Qualitätsstandards für öffentliche Kindereinrichtungen bekannt ist.

Wo liegen die Unterschiede zum Angebot der Kitas?

Frau Prof. Ahnert: Die Unterschiede liegen eindeutig im Bereich der Beziehungsgestaltung. Die ersten Auswertungen unserer Studie zeigen es: Die Beziehungsmuster eines Kleinkindes zur Tagesmutter bzw. zum Tagesvater waren individueller ausgeprägt und auf die Bindungsbedingungen besser angepasst, als wir das aus unseren Krippenstudien (auch aus Österreich) kennen.

Wie lässt sich die Beziehung zwischen Kind und Tagespflegeperson beschreiben?

Frau Prof. Ahnert: Beziehungen lassen sich bei den wenigen Kindern in der Kindertagespflege einfach besser gestalten, sodass das Kind aus dieser Beziehung viele positive Einflüsse für seine Gefühlswelt gewinnt. Die Tagesmutter-Kind-Beziehung wirkt sich dann maßgebend auf die Abstimmung gemeinsamer Aktivitäten aus. Die Kinder lassen sich gut anleiten und sind damit im eigentlichen Sinne “bildbar”, was ihrer Denk- und Sprachentwicklung zugutekommt.

Was sind die Besonderheiten der Bindung zwischen Kind und Tagespflegeperson im Vergleich zur Bindung des Kindes zu seinen Eltern?

Frau Prof. Ahnert: Für ein Kind ist die Bindung zu seinen Eltern eine besondere Beziehungserfahrung. Diese können auch von einer Tagesmutter oder einem Tagevater nicht ersetzt werden. Wohl aber kann die Tagesmutter bzw. der Tagesvater auf bestimmte kindliche Kompetenzen zielführend einwirken. In unserer Studie zeigte sich bereits, dass ein Kind viel häufiger in der Kindertagespflege in einer selbstbestimmten Weise tätig wird und seine Gefühle viel besser als zu Hause eigenregulieren kann. Fähigkeiten der Handlungs- und Emotionsregulation aber sind zentrale Kompetenzen, die auch das spätere Sozialverhalten bestimmen und wichtig für Anpassungsprozesse bei allen neuen Situationen sind.

Univ.-Prof. DDr. Lieselotte Ahnert Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Wien. Davor erhielt sie Professuren an der Hochschule Magdeburg-Stendal und an der Universität zu Köln. Von 1991 bis 2001 leitete sie das “Interdisziplinäre Zentrum für Angewandte Sozialisationsforschung” in Berlin, zwischen 1996 und 1999 war sie als Austauschwissenschaftlerin am National Institute of Child Health & Human Development (Bethesda, USA) im Department für Soziale & Emotionale Entwicklung tätig. Nach ihrer Promotion sammelte sie praktische Erfahrungen als Leitende Psychologin in 52 Berliner Kinderkrippen.

Quelle: Broschüre des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Broschüre Kindertagespflege: Familiennah und gut betreut Bundeskonferenz zu Zukunftsperspektiven der Kindertagespflege in Deutschland; 23. April 2012 in Berlin